Mit dieser Ausstellung und angesichts der fortwährenden Aktualität in den vergangenen Jahren widmen sich das Graphik-Kabinett Backnang und das Kunsthistorische Institut der Universität Tübingen einzelnen Objektgeschichten bzw. Provenienzen ihrer institutionseigenen Graphiksammlungen: der hochkarätigen, 1918 der Stadt Backnang gestifteten Sammlung des ehemaligen Backnanger Bürgers Ernst Riecker (1845–1918) sowie der des württembergischen Zeitgenossen, Otto Freiherr von Breitschwert (1829–1910), dessen Graphikbestand 1910 testamentarisch der Universität Tübingen vermacht wurde. Aus diesen beiden Sammlungskomplexen wurden exemplarisch 55 Meisterwerke, die während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende erworben wurden, wissenschaftlich untersucht – darunter auch Graphiken von Albrecht Dürer oder Rembrandt Harmensz van Rijn.
Wie der Begriff „Kehrseiten“ erkennen lässt, lag der Forschungsschwerpunkt des Projekts – gleichwertig zur herkömmlichen Betrachtung von Ikonographie und Funktion – auf den Rückseiten der Graphiken und auf der individuellen Bedeutung der erhaltenen Stempel bzw. handschriftlichen Bezeichnungen. Neben Stempeln, Marken, Wasserzeichen, Notationen, Druckzuständen, Techniken, Spuren des Gebrauchs und der Bearbeitung bis hin zu ihrer Aufbewahrung wurde das Objekt als solches betrachtet und – soweit vorhanden – um seine Überlieferung in den Quellen ergänzt, z. B. durch Handbibliotheken der Sammler, Rechnungen, Korrespondenzen oder Notizen. Mit der Erforschung von Herkunftsgeschichten bzw. der zweiten Realität eines Kunstwerkes greift die Ausstellung ein Thema auf, das in jüngerer Zeit – besonders durch Diskussionen im Rahmen der Provenienzforschung im Kontext von verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut – an Aktualität gewonnen hat.
Die Kooperation des Graphik-Kabinetts Backnang mit der Graphischen Sammlung des Kunsthistorischen Instituts der Universität Tübingen fand im Zusammenhang eines Praxisprojektes mit 13 Masterstudierenden statt, die sich im Wintersemester 2017/18 der „Biographie der Objekte“ aus beiden Sammlungen widmeten und anschließend an der Realisation der Ausstellung samt dazugehörigem Katalog mitwirkten.